Leitlinien zur Vorratsdatenspeicherung

Justizminister Maas hat am 15.04.2015 die „Leitlinien des BMJV zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten“ vorgestellt.

Es handelt sich dabei um die besser bekannte Vorratsdatenspeicherung, die europaweit vom Europäischen Gerichtshof und diversen staatlichen Verfassungsgerichten für europarechts- und verfassungswidrig gebrandmarkt wurde –  Ausdruck einer absoluten Maaslosigkeit.

 

Vorstellungen der Bundesregierung

Nach dem Willen der Bundesregierung soll für 10 Wochen lang von den Telekommunikationsanbietern gespeichert werden, wer, wann, mit wem, mit welchem Anschluss und mit welchem Gerät kommuniziert wurde. Außerdem soll für den gleichen Zeitraum die Verwendung einer IP-Adresse gespeichert werden. Funkzellendaten, die den Bereich eines angemeldeten Handys beinhalten, sollen für 4 Wochen gespeichert werden müssen. Nicht erfasst werden sollen E-Mails. „Oberste Richtschnur aller Regelungen sind die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des europäischen Gerichtshofes“, heißt es in den Leitlinien.

 

Zum Hintergrund des Vorschlags

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom 02.03.2010 (1 BvR 263/08, 1 BvR 265/08, 1 BvR 586/08) die damaligen Regelungen als erheblichen Eingriff in Art. 10 Grundgesetz bewertet und die Nichtigkeit der Regelungen festgestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere geurteilt, dass mit dem oben genannten sogenannten Verkehrsdaten bereits ein schwerwiegender Eingriff gegen den Bürger stattfindet, weil tiefe Einblicke in sein soziales Umfeld und seine individuellen Aktivitäten bis hin zu Bewegungsprofilen ermöglicht werden. Das Gericht sprach wörtlich von einem diffusen Gefühl des Überwachtseins.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber damals die grundsätzliche Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung unter der Maßgabe bejaht, dass Anlass, Zweck, Umfang der Maßnahme bereichsspezifisch, präzise und normenklar geregelt werden müssen und welche hochrangigen Gemeinwohlbelange geschützt werden sollen. Bei Straftaten muss es sich um schwerwiegende Straftaten handeln, im Bereich der Gefahrenabwehr ist eine Datenerhebung nur zulässig, wenn eine konkrete Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder den Bestand der Sicherheit von Bund und Ländern oder eine gemeine Gefahr drohen. Zwingend hat das Gericht einen Richtervorbehalt gefordert.Wenn erhobene Daten nicht unverzüglich verwendet werden, müssen sie gelöscht und vernichtet werden. Dieses Verfahren muss transparent erfolgen und es muss einen effektiven Rechtsschutz für den Betroffenen geben, was zwangsläufig dessen nachträgliche Benachrichtigung über die Maßnahme erfordert. Aus diesem Grunde sind strengste Anforderungen an den Inhalt und Begründung einer Maßnahme zu verlangen. An den Datenschutz sind höchste Anforderungen zu stellen, normenklare und verbindliche Regelungen müssen geschaffen werden, eine transparente Kontrolle der Einhaltung der Datenschutzvorschriften ist gefordert.

 

Inhalt der Leitlinien

An diesen inhaltlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts orientieren sich „sklavisch“ die veröffentlichten Leitlinien. Mit der Frage der Erforderlichkeit der Maßnahme befasst sich die Bundesregierung in den Leitlinien nicht. Offenkundig wird aber, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht zum Zwecke der Gefahrenabwehr wieder eingeführt werden soll, sondern ausschließlich zum Zwecke der Strafverfolgung.

Deutlich wird, dass der Vorwurf der Kritiker, der Staat stelle seine Bürger unter Generalverdacht, zutreffend ist, wenn es nur um die Strafverfolgung geht. Was anderes als Generalverdacht ist es, wenn anlasslos alle Daten aller Bürger gespeichert werden? Wo bleibt da die Unschuldsvermutung im Rahmen der Strafverfolgung?

Mit dieser Beschränkung auf die Strafverfolgung stellt sich die Frage nach der Sinnlosigkeit einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung natürlich nicht mehr. Die jüngsten schrecklichen Vorkommnisse in Frankreich (Januar 2015, „Charlie Hebdo“) machen deutlich, dass eine existierende Vorratsdatenspeicherung (eingeführt in Frankreich 2006) solche Taten nicht verhindern können, wie Sicherheitsfanatiker immer gern glauben machen wollen. Auch die „Sauerland-Gruppe“ (2006/2007) wurde durch eine konkrete Telefonüberwachung überführt, die „Koffer-Bomber“ aus Köln (2006) wurden durch offene Videoaufnahmen festgestellt, haben sich zum Teil freiwillig zur Polizei begeben, der Rädelsführer wurde über zweifelhafte Vernehmungsmethoden libanesischer Nachrichtendienste dann durch Telekommunikationsüberwachung ermittelt. Der Bombenattentäter vom Bonner Bahnhof (2012) wurde auch gefilmt, letztlich aber durch eine verdeckte Abhörmaßnahme im Rahmen einer anderen Straftat und der sich anschließenden Hausdurchsuchung ermittelt.

Entgegen der anderslautenden Behauptung des Wirtschaftsministers Gabriel (SPD) wurde der Attentäter Breivik (2011) in Norwegen nicht durch eine Vorratsdatenspeicherung ermittelt, sondern durch Anrufe der Polizei am Tatort. Eine Vorratsdatenspeicherung  gab es in Norwegen zum damaligen Zeitpunkt gar nicht.

 

Wen betrifft die Vorratsdatenspeicherung?

Alle Bürger, auch Sie! Ob Sie sich etwas zu schulden kommen ließen, spielt keine Rolle, das will die Sicherheitsbehörde ja gerade erst herausfinden! Insofern ist das Argument, dass meist keine Betroffenheit stattfinden wird, nicht logisch.

Verkehrsdaten, die sich auf Personen, Behörden und Organisationen in sozialen oder kirchlichen Bereichen beziehen und Beratung in seelischen oder sozialen Notlagen anbieten sind hingegen von der Speicherpflicht ausgenommen.

Verkehrsdaten anderer Berufsgeheimnisträger (Seelsorger, Rechtsanwälte, Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Steuerberater, Beratungsstellen für Drogenabhängige und Schwangere, Abgeordnete und Presse) sollen nicht zur Auswertung abgerufen werden können, dürfen aber gespeichert werden. Begründet wird dies damit, dass unter Datenschutzgesichtspunkten die Erstellung einer Datenbank mit den Kommunikationsdaten der Berufsgeheimnisträger nicht vertretbar sei. Zumindest für den Berufsstand der Rechtsanwälte ist dieses Argument offensichtlicher Unsinn, denn alle Rechtsanwälte in Deutschland müssen ihre Telekommunikationsdaten der Bundesrechtsanwaltskammer melden. Insoweit ist noch nie jemand auf die Idee gekommen, die Berufsfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als betroffen anzusehen. Im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs soll im übrigen ab 01.01.2016 jeder Anwalt gezwungen werden, über ein elektronisches Anwaltspostfach erreichbar zu sein. Auch diesbezüglich scheint der Datenschutz der Bundesregierung keine Bauchschmerzen zubereiten.

 

Wie sieht es mit Rechtsschutz und Datenschutz aus?

Die rührselige Annahme, dass der Abruf der gespeicherten Daten nur nach einer ernsthaften Kontrolle durch einen Ermittlungsrichter erfolgen dürfe und damit ein ausreichender Rechtsschutz gewährleistet sein, gehörte schon immer ins Reich der ahnungslosen Gutmenschen. Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass der Richtervorbehalt keinen effektiven Rechtsschutz bieten kann und letztlich doch wieder nur die Polizeibehörde die Nutzung der anlasslos erhobenen Daten aller Bundesbürger bestimmt.

Die Anforderungen an den Datenschutz sind aktuell kaum zu beurteilen. Interessant ist aber, dass ein Straftatbestand der „Datenhehlerei“ geschaffen werden soll, womit der eine oder andere Finanzminister zukünftig Gefahr laufen wird, illegale CDs zum Zwecke der Verfolgung von Steuerstraftaten ankaufen wird. Insofern hat der Vorschlag der Bundesregierung zumindest etwas Charmantes.

Zum Thema effektiver Rechtsschutz gibt es keine konkreten Vorgaben, die Möglichkeit, mithilfe eines richterlichen Beschlusses von einer Benachrichtigung gänzlich absehen zu können, lässt aber Schlimmstes befürchten. Die Idee, die betroffenen Personen vor dem Abruf der Daten zu benachrichtigen, ist mehr als lebensfremd. Konkret bedeutete dies doch, den Straftäter oder seine Kontaktpersonen darauf aufmerksam zu machen, dass eine Datenverwendung erfolgt. Welchen Sinn soll das machen?

 

Fazit:

Die Annahme des Gesetzgebers, es trete mit den Leitlinien eine Verbesserung im Grundrechtsschutz ein, ist schlicht und einfach nicht zutreffend. Im Bereich der Funkzellendaten verschärft sich die Lage gegenüber der jetzigen Gesetzeslage sogar.

Dass eine Vorratsdatenspeicherung Straftaten verhindern kann, mag man glauben oder auch nicht.

Dass sie nur zum Zwecke der Strafverfolgung eingeführt werden soll, nicht aber zur Gefahrenabwehr, ist ein Armutszeugnis.

Dass jeder Bürger zur Zielscheibe von Geheimdiensten, Nachrichtendiensten und Polizeibehörden aller Art wird, das ist sicher, hat aber mit Sicherheit noch nichts zu tun.

 

Der Vorschlag ist zum Glück noch kein Gesetz. Sollte dieser Plan gesetzt werden, schreit er nach einer Verfassungsbeschwerde.

Den Volltext der Leitlinien finden Sie hier.

 

 

 

 

 

 

 

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